„Nach tragischem Unglück im Dorfteich: Bürgermeister verurteilt“ – diese Schlagzeile sorgte in der Kommunalpolitik für Aufsehen. In einer deutschen Gemeinde ereignete sich 2016 ein Zwischenfall, bei welchem in einem Dorfteich in Hessen drei Kinder ertranken. Erstmals wurde in Deutschland ein Bürgermeister wegen fahrlässiger Tötung verurteilt, weil er seinen Sicherungspflichten an besagtem Dorfteich nicht nachgekommen ist. Doch wie sieht die Rechtslage in Österreich aus?
Drohen den Bürgermeister:innen tatsächlich strafrechtliche Konsequenzen, wenn sich beispielsweise Kinder auf einem öffentlichen Spielplatz verletzen, Kinder in einem in der Gemeinde befindlichen Teich ertrinken oder sie generell ihren Sicherungspflichten nicht nachkommen? Wofür Bürgermeister:innen haften und welche Handlungs-möglichkeiten vorliegen, soll dieser Beitrag kompakt aufzeigen.
Rechtslage und Rechtsprechung in Österreich
Das Handeln bzw. im konkreten Fall das Unterlassen des Bürgermeisters als Gemeindeorgan im Zusammenhang mit seiner strafrechtlichen Verantwortung spielt bei einem solchen Sachverhalt eine wesentliche Rolle. Relevant für die Beantwortung der Frage einer Haftung sind § 88 StGB (fahrlässige Körperverletzung) und
§ 80 StGB (fahrlässige Tötung).
Auch in Österreich wurde bereits ein Bürgermeister in einem Strafprozess wegen fahrlässiger Körperverletzung verurteilt, weil sich ein Wanderer verletzte, als er auf einer Brücke bei nassem Boden ausrutschte, das morsche Geländer brach und er einige Meter abstürzte. Dem Verurteilten wurde seitens des Erstgerichtes vorgeworfen, seine Fähigkeiten überschätzt und keine Professionisten, zumindest einmal im Jahr, zur Bestandsaufnahme herangezogen zu haben.
Die Verurteilung des Bürgermeisters wegen fahrlässiger Körperverletzung nach dem Wanderunfall wurde in der zweiten Instanz mit der Begründung aufgehoben, dass die Überprüfung durch Gemeindearbeiter völlig ausreichend gewesen sei. „Gerade bei einem alpinen Wanderweg könne ein gefahrloser Zustand eben nicht immer erreicht werden“, erklärte die Richterin. Der Berufungssenat führte begründend aus, „es sei dem Wegehalter nicht zumutbar, alpine Wege ständig zu überwachen, zumal dies nahezu eine tägliche Kontrolle erfordern würde“ (vgl. 4 Ob 536/87 in RIS-Justiz RS0023748). Zu berücksichtigen sei auch die Gesamtlänge des betreuten Wanderwegnetzes (im konkreten Fall rund 40 km) und das Faktum, dass kleineren Gemeinden weniger zuzumuten sei als großen. Mit dem Freispruch, der letztlich ein gewisses Restrisiko für Benützer auf alpinen Steigen einräumt, ist ein richtungsweisendes Urteil gefällt worden.
Was macht Fahrlässigkeit aus?
Fahrlässigkeit wird im alltäglichen Sprachgebrauch recht lapidar verwendet. Juristisch relevant sind folgende Aspekte:
– Verstoß gegen Rechtsnormen: unter den Rechtsnormen sind nicht nur klassische Sorgfaltsregeln, welche sich aus Gesetzen und Verordnungen ableiten, zu verstehen, sondern auch Sicherheitsvorschriften anderer Art, wie baupolizeiliche oder feuerpolizeiliche Sicherheitsbestimmungen, ÖNORMEN oder Sicherheitsvorschriften besonders gefährlicher Unternehmen. Bezogen auf die Gemeinde als Badbetreiber, Kinderspielplatzbetreiber, Wanderweghalter etc. bedeutet dies, dass sie die von ihnen eröffneten Betriebe nach den Regeln der geltenden Rechts- bzw. Verkehrsnormen zu sichern haben. So muss der/die Bürgermeister:in dafür sorgen, dass in einem Badebetrieb Warnhinweisschilder aufgestellt und rutschfeste Matten im Kassabereich aufgelegt werden. Die Gemeinde muss als Badbetreiber aber beispielsweise nicht überprüfen, ob die Benutzer des Bades auch tatsächlich schwimmen können.
Bei der Übertragung von Aufgaben und Verpflichtungen an Gemeindebedienstete handelt somit der/die Bürgermeister:in nur sorgfaltskonform, wenn die Personen sorgfältig auswählt werden und für eine entsprechende Überwachung gesorgt wird.
– Die subjektive Sorgfaltswidrigkeit wird in der Regel durch die objektive indiziert, das heißt, wer gegen objektiv vorliegende Verpflichtungen verstößt, kann sich nicht darauf berufen, die Verpflichtung nicht gekannt zu haben, wenn er die Aufgabe (den Betrieb des Bades) übernommen hat. Denn wer eine Aufgabe übernimmt, ohne entsprechende Kenntnisse und Fähigkeiten zu haben, haftet erst recht.
– Vorhersehbarkeit – ein „Erfolg“ (hier: ein Schaden oder Unglück) ist objektiv voraussehbar, wenn sein Eintritt für einen einsichtigen und besonnenen Menschen in derselben Situation aufgrund der allgemeinen Lebenserfahrung wahrscheinlich ist. Ein atypischer Kausalverlauf, d.h. eine besonders unglückliche Verkettung von Umständen, welche zu einem Schaden/Unglück geführt hat, kann dem Verantwortlichen nur in wenigen einzelfallbezogenen Ausnahmefällen angelastet werden, da ein solches Ereignis außerhalb jeglicher Lebenserfahrung liegt.
Sorgfaltsmaßstab
Aus der Beurteilung der zweiten Instanz des genannten Urteils lassen sich Grundsätze ableiten, deren Einhaltung das Risiko für die Verantwortlichen einer Gemeinde, in eine strafrechtliche Verantwortung und eine persönliche Haftung zu kommen, beträchtlich reduzieren. Wesentlich ist jedenfalls die regelmäßige Kontrolle. Die Häufigkeit der Kontrollen hängt davon ab, was nach Art und Weise der Gefahrenquelle angemessen und zumutbar ist.
Aus der zivilrechtlichen Judikatur des OGH lässt sich eine Verpflichtung zur mindestens jährlichen Kontrolle ableiten. Im Einzelfall, beispielsweise nach Sturm- oder Hochwasserereignissen, kann natürlich eine zusätzliche Kontrolle notwendig sein. Derjenige, der eine Gefahrenquelle schafft oder in seinem Herrschaftsbereich bestehen lässt, hat dafür zu sorgen, dass niemand einen Schaden erleidet. So muss jemand, der einen Verkehr eröffnet, wie etwa die Gemeinde bzw. der/die Bürgermeister:in als Badbetreiber, als Eigentümer eines Schwimmteiches, als Kinderspielplatzbetreiber oder als Wanderwegehalter, die Benutzer schützen bzw. zumindest vor den Gefahren warnen. Als Einschränkung muss sich der Schutz bzw. die Warnung im Rahmen des Zumutbaren halten und vor allem eine gewisse Eigenverantwortlichkeit der Benutzer berücksichtigen.
Die Schutz-, Kontroll- und Warnpflichten können auch übertragen werden. Die Delegation von Überwachungs- und Obhutspflichten ist im Bereich von Gemeinden nicht wegzudenken. Gemeindebedienstete, die eine Pflicht übernehmen, sind dann eben auch für diese verantwortlich. Zu beachten gilt jedoch, dass der Übertragende aber dennoch im Rahmen des Auswahl- und Überwachungsverschuldens oder des Organisationsverschuldens selbst strafrechtlich verantwortlich bleibt.
So kann eine strafrechtliche Verantwortung entstehen, wenn Bürgermeister:innen ihre eigenen Fähigkeiten überschätzen und die Kompetenz selbst wahrnehmen, obwohl die Expertise eines Dritten herangezogen werden müsste. Umgekehrt ist es aber auch möglich, dass Bürgermeister:innen auf die Kenntnisse eines Dritten vertrauen, dieser aber die notwendige Erfahrung nicht vorweisen kann. Ein weiterer Grund könnte sein, dass Bürgermeister:innen zwar eine geeignete Fachperson ausgewählt haben, diese aber nicht hinreichend kontrolliert wurde und somit ein fehlerhaftes Verhalten unentdeckt geblieben ist.
Kümmern sich Bürgermeister:innen somit trotz fehlender Qualifikation selbst um die Angelegenheit und verzichten sie auf die Beiziehung einer Fachperson, so verhalten sie sich sorgfaltswidrig und begründet dies eine strafrechtliche Verantwortung. Schlussendlich ist maßgebend, ob die Beiziehung einer Fachperson bzw. das sorgfaltsgemäße Verhalten im konkreten Fall zuzumuten ist. Dabei ist nicht nur die mögliche Gefahr für fremde Rechtsgüter ausschlaggebend, sondern auch der konkrete Aufwand für die verantwortliche Person.
Ergibt sich aufgrund der richtigen Selbsteinschätzung und der Beiziehung eines Fachmannes keine Gefahr für andere, so kann dennoch ein sorgfaltswidriges Verhalten durch Fehler bei der Auswahl und Überwachung vorliegen. Bürgermeister:innen haben demnach im Rahmen der Verteilung der Aufgaben die Pflicht, die geeigneten Personen auszuwählen und diese bei ihrer Aufgabenerfüllung regelmäßig zu überwachen.
Grenzen der Haftung
Sorgfaltsgemäßes Verhalten muss zumutbar sein. So kann das Aufstellen von Warnhinweisschildern bereits als ausreichende Sicherungsmaßnahme angesehen werden, vor allem dann, wenn dem zu Verkehrssicherung Verpflichteten weitergehende Maßnahmen, wie bspw. der Umbau von Anlagen, selbst bei Kenntnis der Gefahrenquelle, nicht zumutbar sind. Ein weiteres Beispiel zeigt sich im Fall einer Gemeinde, die ein Spektrum von Wanderwegen für den Tourismus bereitstellt. Das tägliche Überwachen bzw. Instandhalten von Wanderwegen kann den Gemeinden nicht zugemutet werden. Eine alljährliche Überprüfung durch geeignetes Fachpersonal ist ausreichend. Liegt eine hohe Gefahr für Leib und Leben vor, ist aber das sorgfaltsgemäße Verhalten nich zumutbar, weil der Aufwand zu hoch ist oder man sich die Beiziehung eines Fachmannes nicht leisten kann, so ist die Gefahr auf anderem Wege zu minimieren oder gar zu beseitigen. Gibt es somit keine andere Möglichkeit, müssen Kinderspielplätze, Wanderwege oder Teiche gesperrt werden.